Die Handbuchmärchen der Bauplananbieter

Es war einmal ein Bootsbauer, der hat geglaubt, was in den Webseiten und Handbüchern der Planverkäufer und Konstrukteure steht. Und wenn er nicht gestorben ist, dann baut er auch noch heute.

Wenn ich mich recht erinnere, liest man irgendwo bei CLC, dass man das Pocketship in 500 bis 600 Stunden bauen kann. Man kann, wie der Kenianer Elioud Kipchoge die 42 km auch in wenig mehr als zwei Stunden laufen. Der untrainierte Sportler wird froh sein, wenn er einen Marathon überhaupt zuende bringt, und so ist es auch für den Amateur mit dem Bootsbau. Die Zeitangaben sind maßlos untertrieben und einschlägige Diskussionen in Foren führen gerne zum Rat, die Zeitvorgaben getrost zu verdoppeln. Das gilt übrigens nicht nur für Harris und das Pocketship oder die anderen Boote, sondern wohl für die meisten anderen Plananbieter. Und es gilt nicht nur für die Zeitangaben, sondern auch für alles andere: Platzvorgaben, handwerkliche Kenntnisse, Werkzeuge und Kosten.

Natürlich kann man ein Pocketship in einer Garage bauen. Mir sind entsprechende Bilder bekannt. Das bedeutet aber auch, dass man unzählige Stunden braucht, um Material hin und her zu räumen, man wird unzählige Male den Rumpf umrunden und viele Male sämtliche Bauteile vor die Garage stellen, um Teile zu montieren. Das kostet nicht nur jede Menge Zeit, sondern auch Kraft und Nerven. Natürlich kommt man mit wenig Werkzeug aus, die Aufzählung beim Pocketship umfasst lediglich eine Kreissäge, eine Bandsäge, eine Schleifmaschine, eine Oberfräse. Bisschen wenig. Bei mir kamen noch zwei Stichsägen, eine Bohrmaschine, Bohrständer, ein Akkuschrauber, Akku-Schleifmaus, Fingerfeile, Bandschleifer, Elektrohobel und unzählige Handwerkzeuge, Pinsel, Spachtel, Rollen und Kleinkram hinzu – und gewiss habe ich eine Menge vergessen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mir noch einen großen Werktisch von etwa zwei mal fünf Metern gebaut habe, um die vielen Teile auszuschneiden, zu schäften, zu verkleben, zu laminieren und zu schleifen. Die Aufzählung der Werkzeuge lässt auch erahnen, dass angestrebte finanzielle Rahmen schnell in die Nähe von Hirngespinsten geraten und man sich immer wieder damit ausredet, dass man die vielen schönen Werkzeuge auch noch für viele andere Heimwerkerprojekte prima brauchen kann.

Die Zeitangaben mögen für einen Bootsbauer passen, der seine Ausbildung längst abgeschlossen hat. Wir Anfänger machen unsere Lehrzeit während der Bauphase und müssen diese Zeit addieren. Auch die Zeit fürs Ausprobieren, für Recherche in Büchern, im Internet und einschlägigen Foren. Ich habe das Gefühl dafür verloren, wie unglaublich viel Zeit dafür benötigt wurde, Material zu beschaffen, Werkzeuge, Kleinkram. Ein Bootsbauer hat die wichtigsten Teile einfach da und kann sich im Lager bedienen. Wir Heimwerker kennen sicherlich zur Genüge, dass wir an einem Samstag dreimal zum Baumarkt fahren – für ein paar passende Schrauben. Ungezählt auch die Stunden, die man für die passenden Händler aufbringen muss, die Recherche nach dem Segelmacher, den Außenborder, Bootselektrik und den ungezählten Kleinkram.

Weil ich das von etlichen vorausgegangenen Heimwerkerprojekten schon kannte, habe ich von Beginn an darauf verzichtet, Stunden und Kosten zu notieren. Ich habe mich auf das Projekt gefreut und es meistens auch genossen. Der Baublues kommt früher oder später sowieso, da sind entsprechende Bilanzen nicht unbedingt erbaulich. Irgendwann schwimmt ein Boot, egal ob Kajak oder Kleinkreuzer, und das entschädigt für manche Mühe und Geduld.

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2 Antworten

  1. Schön auf den Punkt gebracht! Wer Selbstbauprojekte wie das PocketShip nach dem Motto „Zeit ist Geld“ angeht, ist in der Regel eh auf dem „Holzweg“. Und man sollte man sich vor Baubeginn eben absolut im Klaren sein, wo die Motivation für einen genau liegt, was man erreichen möchte und warum man sich in ein solches Zeit- und Finanzaufwändiges Projekt „ans Bein nagelt“. Hier liegt man meines Erachtens richtig, wenn man vor allem Lust aufs Selbstbauen hat, die Kosten nicht im Mittelpunkt stehen und absolut überzeugt vom Entwurf ist. In letztem Punkt macht es uns dieses Schiffchen jedenfalls leicht, den Rest muss jeder Selbstbauer für sich selbst entscheiden. Ich bin jedenfalls gespannt über deine weiteren Berichte zu den Segeleigenschaften und den kleinen und großen Abenteuern mit dem PocketShip auf „hoher See“. Ahoi!

  2. Da kann ich gut mitfühlen. es gibt ja auch Sachen, die einem während des Baus einfallen un eine bessere Grundlage bieten. Ich habe viele Kleinigkeiten angepasst, schliesslich Mus ja ich mit dem Boot nachher glücklich werden.
    Was ich im Verlauf meiner Bootsbau-Karriere (habe fand Boote gebaut) als absolut unerlässlich befunden habe: Keine Staunässe! Ecken, die Wasser sammeln, Abläufe, die am falschen Ort platziert sind, Flächen, die absolut waagrecht liegen und Aehnliches was selbst bei denProfi-Bauplänen vorhanden. Das kann man vermeiden, wenn man darauf achtet. Das Boot dankt es mit längerer Haltbarkeit.

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